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Viola da gamba & Cembalo

Abschied und Wiederkehr, Sehnsucht und der Schmerz unerfüllter Liebe, Dunkelheit und melancholische Weltbetrachtung, aber auch Hoffnung, Licht und Freude – all dies war John Dowland Anregung zum künstlerischen Schaffen und Thema seiner Werke. Dowland schrieb um das Jahr 1600 zahlreiche Lautenlieder und bewies damit einen ausgeprägten Sinn für das Neue, ja Avantgardistische dieses Genres: Anders als im traditionellen mehrstimmigen Gesang der Renaissance besitzt der solistisch agierende Sänger im Lautenlied eine größere Freiheit zur individuellen Ausgestaltung seiner Stimme. Sowohl die Texte als auch die Musik sind von einer ganz neuartigen Expressivität geprägt. Manche der Texte verfasste Dowland selbst; andere, bekannte Lieder griff er – wie zahlreiche Komponisten seiner Zeit – auf und vertonte sie neu. So entstand ein schillerndes Netz aus aufeinander bezogenen Vokal- und Instrumentalwerken, die auch dadurch Vergnügen bereiteten, dass man eine altbekannte Melodie immer neu variiert hörte.

Die Gambe als nahe Verwandte der Laute kostet in diesem Programm von den Früchten aus Nachbars Garten: Mal streicht sie die Melodie der Lieder, mal zupft sie die Lautenstimme, mal übernimmt sie eine virtuose Instrumentalversion, die ihr auf den Leib geschnitten ist. Auch das Cembalo lässt sich zu Adaptionen der „Songes or Ayres“ inspirieren und steuert zudem Kostbarkeiten aus dem reichen Schatz der originalen Liedvertonungen von Byrd bis Morley bei.

Silke Strauf – Viola da gamba
Gösta Funck – Cembalo

Das Paradies – ein Garten, ein eingehegter Bereich, der Traum vom perfekten Ort mit exklusivem Zutritt. Doch ist vom Paradies die Rede, so weiß man auch um seine Endlichkeit. Die Geschichte des Gartens Eden ist eine Geschichte von Verlust, von Täuschung und Enttäuschung und eine Geschichte von der Notwendigkeit, sich mit den Gegebenheiten der rauen Welt zu arrangieren. Und sie ist eine Geschichte, die immer wieder neu zu erzählen ist. In den Wirren, Herausforderungen und Zumutungen des englischen Bürgerkrieges in der Mitte des 17. Jahrhunderts machten auch Musiker ihre ganz eigenen Erfahrungen mit dem Ende des „Age of Plenty“, der Zeit des kulturellen Überflusses. William Lawes, William Young, Thomas Tomkins und John Jenkins erlebten Tod, Emigration, Gewalt und Zerstörungen. Wie aber konnten dennoch Werke von höchster Kunstfertigkeit, Eleganz und Anmut im Schatten von Tod und Bedrohung entstehen? Spiegelte die Musik, die in England um die Mitte des 17. Jahrhunderts entstanden war, in besonderem Maße die Sehnsucht nach einer besseren Welt, fernab von Leid und Gefahr? Das verlorene Paradies, so scheint es, wollte und sollte wiedergewonnen werden. Und aus düsteren Erinnerungen entstand der Traum von einer besseren Welt, frisch, lebensfroh und voller Musik.

Silke Strauf & Claas Harders (Viola da gamba)
Gösta Funck (Orgel & Cembalo)

Gotthold Ephraim Lessings Ermutigung, den Begriff „empfindsam“ für die Übersetzung von Laurence Sternes Romantitel „A Sentimental Journey“ von 1768 zu verwenden, sollte auch für die Musik der Zeit bedeutsam werden. Das Wort war neu und beschrieb doch so treffend die Abwendung von der Strenge des barocken Regelwerks hin zum musikalischen Ausdruck subjektiver Empfindungen, dass die Bezeichnung „Zeitalter der Empfindsamkeit“ daraus hervorging. Das Erschaffen einer neuen musikalischen Welt ist immer ein Wagnis. Auf Carl Philipp Emanuel Bach jedoch traf dies wohl in besonderem Maße zu: Der Sohn des langjährigen Thomaskantors Johann Sebastian Bach war zugleich auch dessen Schüler. Doch nun stellte er – bei allem Respekt – den Stil des Vaters unüberhörbar in Frage. Und so wie Sterne anstelle einer sachlichen Beschreibung von Land und Leuten seine persönlichen Eindrücke auf Reisen schildert, geht es Carl Philipp Emanuel Bach um das unmittelbare Berühren durch die Musik: „Aus der Seele muss man spielen, und nicht wie ein abgerichteter Vogel!“

Silke Strauf (Viola da gamba) & Gösta Funck (Cembalo)

Touché! – Berührt, getroffen im Fechtkampf. Auch in der Musik der Barockzeit maß man mitunter seine Kräfte. Und so kommt es hier zu einem fiktiven musikalischen Duell: Johann Sebastian Bach, der große Meister kontrapunktischer Kompositionskunst, und François Couperin, schon zu Lebzeiten als „Le Grand“ bezeichnet, begegnen einander zum Schlagabtausch. Die Kontrahenten waren offensichtlich sehr unterschiedlicher Natur: während Bach als aufbrausend und halsstarrig beschrieben wurde, galt Couperin als zurückhaltend, fast schüchtern und feinsinnig. Und doch schuf Bach in höchstem Maße berührende Kunstwerke, und Couperin gelang es, am Hofe Ludwigs XIV. als Musiker und Lehrer der Prinzen und Prinzessinnen zu bestehen. Bachs kunstvoll polyphone Dialoge zwischen Gambe und Cembalo wechseln mit Couperins Sätzen von höchster Eleganz und Wärme. Ernsthaftigkeit trifft Leichtigkeit – ein Gespräch unter Freunden?

Silke Strauf (Viola da gamba) & Gösta Funck (Cembalo)

J. S. Bach: Sonata für Viola da gamba und Cembalo (BWV 1027), Allegro moderato



F. Couperin: Première Suite in e-moll (Pièces de violes, 1728), Sarabande

Wunderkammern – die weite Welt mit ihren staunenswerten Kostbarkeiten und Skurrilitäten versammelt in einer Stube. Die Ordnung der Schöpfung gespiegelt in einem Kabinett der Kuriositäten. Entlegenes aus allen Teilen der Welt, geraubt oder gerettet, und nun wohlverwahrt zur Anschauung der unendlichen Fülle des Möglichen. Im Zeitalter europäischer Entdeckungsfahrten brachten auch zahlreiche Expeditionen in neue musikalische Welten Wundersames hervor. Insbesondere der Stylus Phantasticus als die freieste Art der Komposition erlaubte es dem Komponisten, „an die Grenzen seiner Kunst zu gehen“, so der Universalgelehrte Athanasius Kircher. Hier finden sich, befand Johann Mattheson, „allerhand sonst ungewöhnliche Gänge, versteckte Zierrathen, sinnreiche Drehungen und Verbrämungen …, ohne eigentliche Beachtung des Tacts und Tons; bald hurtig bald zögernd, bald ein- bald vielstimmig“. Oftmals, schrieb Kircher, erweckt die Musik den Eindruck, als sei sie improvisiert, und doch wohnt auch ihr eine „scharfsinnig befolgte Ordnung“ inne. Der phantastische Stil gab der Musik des 17. Jahrhunderts ihr wundersames Gesicht.

Silke Strauf (Viola da gamba) & Gösta Funck (Cembalo)

Eben noch im Zentrum virtuosen Schaffens, kurz darauf nahezu in Vergessenheit geraten – so erscheint das Schicksal der Viola da gamba in Italien im 17. Jahrhundert. Auch Claudio Monteverdi verkaufte seine Gamben, die wenige Jahre zuvor noch in kunstvollen polyphonen und solistischen Kompositionen erklungen waren. Für die folgenden Jahrzehnte stehen die Violine und das Violoncello ganz im Licht der Öffentlichkeit. Und doch bleibt die Gambe in der Erinnerung lebendig: Berühmte italienische Instrumentenbauer wie Antonio Stradivari und Niccolò Amati stellen noch gegen Ende des 17. Jahrhunderts Gamben her. Arcangelo Corellis in ganz Europa berühmt gewordene Violinsonaten werden für die Gambe transkribiert, und Antonio Vivaldi, der sich im venezianischen Waisenhaus Ospedale della Pietà dafür einsetzt, „weiterhin die englischen Violen zu unterrichten“, komponiert für das nunmehr exotische Instrument. Erinnerungen an einen neuen Klang!

Silke Strauf (Viola da gamba) & Gösta Funck (Cembalo)

Le Labyrinthe erschien 1717 in Marin Marais’ 4. Buch der Pièces de viole und ist Teil der Suitte d’un goût étranger, einer Folge von Tanz- und Charakterstücken „in fremdem Geschmack“. Als glühender Verfechter des französischen Stils lehnte Marais jeden italienischen Einfluss rundweg ab – die Fremdheit muss also anderer Natur gewesen sein. Sie besteht darin, einer Suite neben den traditionell üblichen Tanzsätzen eine ganze Reihe programmatischer Stücke hinzuzufügen, deren Titel ihrem bildhaft erzählenden Charakter entsprechen. So finden sich hier – wie auch in Marais’ anderen Büchern – Stücke wie Grand Ballet und Cloches ou Carillon („Glocken oder Glockenspiel“), die berühmten Couplets de folies („Folia-Variationen“), Les Voix humaines („Die menschlichen Stimmen“) und nicht zuletzt Le Labyrinthe: ein Rundgang durch das Labyrinth Ludwigs XIV. in Versailles. In diesen zu Beginn noch vergnüglichen Spaziergang mischen sich schon bald Momente der Verwirrung, des Erschreckens und der Furcht. Resignation und Müdigkeit, verzweifelte, wilde Hoffnung folgen, bis schließlich ein rettender Faden denjenigen freudig tanzen lässt, der den Weg hinaus gefunden hat.

Silke Strauf (Viola da gamba) & Gösta Funck (Cembalo)

M. Marais: Pièces de viole (Livre IV), Le Labyrinthe
M. Marais: Pièces de viole (Livre II), Couplets de folies

Viola da gamba & Viola da gamba

Johann Sebastian Bachs „Goldberg-Variationen”: Zeugnis barocker Lust an der kunstvollen Veränderung eines musikalischen Themas, der Legende nach erprobtes Mittel gegen Schlaflosigkeit, damals wie heute Gegenstand meditativer Auseinandersetzung mit den labyrinthisch verschlungenen Pfaden des Lebens, vom großen Meister geschrieben für einen erst vierzehnjährigen Virtuosen namens J. G. T. Goldberg  –  und nicht zuletzt: eines der bekanntesten Werke für Cembalo. Zudem hat der Zyklus eine ganze Reihe von Musikerinnen und Musikern zur eigenen Bearbeitung inspiriert. Und so liegt nun auch mit der Transkription von Silke Strauf und Claas Harders erstmals eine für zwei Gamben eingerichtete Fassung der Goldberg-Variationen vor.

Die Gambe, von Bach immer wieder solistisch verwendet, bietet vielfältige Möglichkeiten, die polyphone Mehrstimmigkeit der Variationen zum Ausdruck zu bringen. Auch durch ihre Fähigkeit zur melodiösen Gestaltung einzelner Stimmen erscheint der Zyklus in einem neuen und faszinierenden Licht. Und wer die Eigenart des Tasteninstruments allzu sehr vermisst, dem eilt das Imaginationsvermögen zu Hilfe, das nach Carl Philipp Emanuel Bach (Versuch über die wahre Art das Clavier zu spielen, 1753) der Flüchtigkeit nicht nur des Cembalotons entgegenzuwirken vermag: „Es kommen überhaupt bey der Musick viele Dinge vor, welche man sich einbilden muß, ohne daß man sie würklich höret. […] Verständige Zuhörer ersetzen diesen Verlust durch ihre Vorstellungs=Kraft.”

Silke Strauf & Claas-Berend Harders (Viola da gamba)

Auf den ersten Blick scheinen sie wenig miteinander gemein zu haben: Marin Marais, Hofkomponist und -gambist Ludwigs XIV., war zuständig für die musikalische Unterhaltung bei feierlichen Anlässen in Versailles sowie in den privaten Gemächern des Sonnenkönigs. Er schuf zahlreiche Suiten und reich verzierte Charakterstücke nach typisch französischer Manier. Dagegen rund zweihundert Jahre später: die Komponisten Erik Satie und Gabriel Fauré, die beide hineingeboren wurden in das Fin de Siècle, das ausgehende 19. Jahrhundert, mit seiner Aufbruchsstimmung und Leichtlebigkeit, aber auch Zukunftsangst und Dekadenz. Sowohl Faurés impressionistische Werke als auch Saties avantgardistische Kompositionen finden hier ihren Platz. Und doch gibt es Berührungspunkte zwischen den drei Musikern, die in so verschiedenen Welten zu Hause waren: Die von Satie entwickelte Idee der Hintergrundmusik mag auch schon Marais mit seiner höfischen Musik vertraut gewesen sein, ebenso wie Fauré, der auch in den mondänen Pariser Salons zu hören war. Alle drei interessierten sich – abseits vom großen repräsentativen Repertoire des Hofes oder einem Wagnerismus des 19. Jahrhunderts – vor allem für die kleine musikalische Form der Kammermusik: Die solistische Besetzung oder das Musizieren zu zweit lassen sehr persönliche musikalische Reflexionen und Dialoge entstehen. Es erklingen Originalkompositionen von Marin Marais sowie Transkriptionen verschiedener Werke von Satie und Fauré. Die Viola da gamba nutzt hierzu ihre vielfältigen klanglichen Möglichkeiten, die Musik mal gestrichen und mal gezupft lebendig werden zu lassen.

Silke Strauf & Claas Harders (Viola da gamba)

Viola da gamba & Literatur

Die Zeit gilt uns als Inbegriff immerwährender Bewegung, ihr Stillstand lediglich als Illusion. Das perpetuum mobile jedoch, das nach dem Vorbild der ewig fortdauernden Himmelsmechanik die irdisch-physikalischen Gesetze überwinden soll, bleibt ein ebenso faszinierendes wie hoffnungsloses Unterfangen. Die Illusion der permanenten musikalischen Bewegung erzeugte Johann Sebastian Bach in zahlreichen seiner Werke. Antrieb für das kunstvolle Räderwerk seiner Musik ist der stetige Fortgang der Harmonien. Auch in der Literatur stellte man sich zu allen Zeiten Fragen nach dem Wesen der Zeit: auf der Suche nach verloren geglaubten Erinnerungen oder nach Auswegen aus einem Leben unter der Herrschaft des immerfort sausenden Rades der Zeit. Und wem sich das Rad der Zeit zu schnell dreht, der mag sich in der Zeitlosigkeit der Musik John Dowlands verlieren: „Zeit steht still, schau ich in ihr Gesicht, steh still und schau!“

Johann Sebastian Bachs Suiten für Violoncello solo sind ein faszinierendes Beispiel für die kunstvolle Ausarbeitung eines Themas, einer musikalischen Idee. Sie erzählen von Ruhe und Versunkenheit, von der Flüchtigkeit des Augenblicks und seiner Vergänglichkeit.
Virginia Woolf gelingt dies in der Literatur. Auch sie versucht, den Dingen auf den Grund zu gehen, und benutzt dazu eine bei aller Reflexion einfache Sprache. Und so klingen ihre Erzählungen beständig in einer ihnen eigenen Musikalität. Und mehr noch: Über die zweihundert Jahre hinweg, die sie trennen, steht, so scheint es, Woolfs Literatur im Zwiegespräch mit Bachs Musik.
Silke Strauf leiht den Suiten die Stimme der Gambe, einer nahen, eleganten Verwandten des Violoncellos. Mal tänzerisch, mal meditativ, lässt die Musik einen Kontrapunkt zur Hast unserer Zeit entstehen.

Silke Strauf (Viola da gamba) & Katja Willebrand (Rezitation)

J. S. Bach: Suitte 1re, Prélude (BWV 1007)
J. S. Bach: Suitte 1re , Courante (BWV 1007)
J. S. Bach: Suitte 1re, Sarabande (BWV 1007)

Nichts ist von Dauer, nur eines bleibt: der Wandel. Dies zeigt sich besonders in der zuverlässigen Wiederkehr der Jahreszeiten, in einer beständigen Wiederholung, die doch nichts wiederholt. In ihrem Zyklus wird klar: Beständigkeit und Veränderung stehen sich nicht entgegen, nein, sie sind ohne einander nicht zu haben. Im Kreislauf des Jahres spiegelt sich die paradoxe Wahrnehmung unserer Lebens-Zeit, die wenige so sensibel, so leicht und dabei so melancholisch beschrieben haben wie Erich Kästner. Seine Jahreszeitengedichte werden begleitet von und begleiten Gambenmusik von Carl Friedrich Abel, einem der letzten Gambenvirtuosen des 18. Jahrhunderts.

Silke Strauf (Viola da gamba) & Katja Willebrand (Rezitation)

C. F. Abel: Adagio in g-Moll
(Drexel-Manuskript)
C. F. Abel: Sonata in D-Dur: Allegro (Drexel-Manuskript)
C. F. Abel: Sonata in D-Dur: Menuett (Drexel-Manuskript)